09. Oktober 2019 / Baurecht | Planungsrecht | Natur- und Umweltrecht
Überschreitung der zulässigen Grundflächenzahl
Grundflächenzahl laut Bebauungsplan
Die Grundflächenzahl gibt an, wieviel Quadratmeter Grundfläche im Rahmen eines Vorhabens je Quadratmeter Grundstücksfläche zulässig sind. Die Einzelheiten der Berechnung ergeben sich aus § 19 Baunutzungsverordnung (BauNVO).
Die Baugenehmigungsbehörde hatte eine Baugenehmigung für ein Bauvorhaben in einem Bebauungsplan erteilt, obwohl sich gegenüber der nach der Bauleitplanung zulässigen Grundflächenzahl von 0,6 tatsächlich eine solche von 0,71 errechnete. Hiergegen hat die Gemeinde, die ihr Einvernehmen nach § 36 BauGB versagt hatte, geklagt. Das Gericht hatte zu entscheiden, ob insoweit lediglich eine geringfügige und damit zulässige Überschreitung nach § 19 IV 2 Hs. 2 BauNVO vorlag. Das Gericht gab im Ergebnis der Gemeinde recht.
Das Gericht führt in den Urteilsgründen aus:
Maßstab für Geringfügigkeit einer zulässigen Überschreitung
Entgegen der Ansicht des VG und des Ag. ist die Überschreitung der damit insgesamt zulässigen Grundflächenzahl von 0,6 um 0,11 auf 0,71 nicht mehr als nur geringfügig iSv § 19 IV 2 Hs. 2 BauNVO anzusehen. Zwar steht die Entscheidung über die Zulassung weiterer Überschreitungen der 50 %-Grenze im pflichtgemäßen Ermessen der Behörde, jedoch unterliegt die Auslegung des unbestimmten Rechtsbegriffs „in geringfügigem Ausmaß“ der vollen gerichtlichen Überprüfung.
Für die Auslegung dieses Begriffs können keine absoluten Größenordnungen oder bestimmte von-Hundert-Werte der jeweiligen Grenze angegeben werden; die weitere Überschreitung ist vielmehr relativ und hängt wesentlich von der Situation des Einzelfalls, der konkreten Planung des Vorhabens und seiner Größenordnung ab (vgl.Fickert/Fieseler, BauNVO, 13. Aufl. 2018, § 19 Rn. 20). Auch ist nicht unmittelbarer Maßstab die geringe oder wesentliche Auswirkung; abzustellen ist nach dem Wortlaut auf das Ausmaß, hingegen sind die Auswirkungen im Rahmen des Abweichungstatbestandes zu berücksichtigen (vgl.Söfker in Ernst/Zinkahn/Bielenberg/Krautzberger, BauGB, Oktober 2018, § 19 BauNVO Rn. 22).
Gemessen hieran erweist sich die Überschreitung der zulässigen Grundflächenzahl von 0,6 auf 0,71 nicht mehr als nur geringfügig. Durch diese Überschreitung wird die überbaute Fläche gemessen an der Grundstücksgröße von 4794 m² von zulässigen (0,6 x 4794 m² =) 2876,40 m² um (0,11 x 4794 m² =) 527,34 m² auf 3403,74 m² erhöht, was 18,33 % entspricht.
Qualität der planerischen Beeinträchtigung unerheblich
Von einem geringfügigen Ausmaß kann bei einer solchen Vergrößerung der überbauten Grundstücksfläche nicht mehr gesprochen werden. Die Argumentation des VG, die Überschreitung sei insbesondere deshalb als geringfügig anzusehen, weil maßgeblich für die Überschreitung die Tiefgarage sei, welche auf der von der Ast. ausdrücklich hierfür vorgesehenen Fläche errichtet werden solle, so dass deren planerische Absichten allenfalls geringfügig beeinträchtigt würden, überzeugt nicht. Denn nicht die Auswirkungen der Überschreitung sind nach der ausdrücklichen Bestimmung des§ 19 IV 2 Hs. 2 BauNVO entscheidend, sondern ausschließlich deren Ausmaß. Es handelt sich um ein quantitatives und nicht um ein qualitatives Kriterium. Bei einem Bauvorhaben dieser Größe kann eine Überschreitung der zulässigen Grundflächenzahl durch eine Tiefgarage um über 18 % nicht mehr geringfügig sein.
Hieran ändert auch der Umstand nichts, dass das Bauvorhaben der Beigel. mit seiner Grundflächenzahl von 0,71 unter der in§ 19 IV 2 Hs. 1 BauNVO geregelten Kappungsgrenze von 0,8 bleibt. Die Kappungsgrenze von 0,8 gibt für die Frage, welche Überschreitung der zulässigen Grundfläche noch als geringfügig angesehen werden kann, nichts her. Sie dient lediglich als absolute Obergrenze für diejenigen Fälle, in denen die in§ 19 IV 2 Hs. 1 BauNVOzugelassene Überschreitung der Grundflächenzahl um 50 % zu einem höheren Wert als 0,8 führt. Damit soll einer noch weitergehenden Versiegelung von Baugrundstücken entgegengewirkt werden. Mindestens 20 % der Grundstücksfläche sollen aus Gründen des Bodenschutzes nicht überbaut werden können, auch nicht durch die in§ 19 IV 1 BauNVOgenannten Anlagen (vgl.Fickert/Fieseler, §19Rn. 17).
Autor: Professor Dr. Karsten Simoneit